Entdeckedecke

Mein Langzeitprojekt "Decke" ist nach fast zwei Jahren fertig.

 

Die letzte Etappe (das Zusammennähen) war nochmal richtig aufwändig. Immerhin mussten 832 Teile verbunden werden. Im Anschluss an diese Nähorgie verbannte ich die Decke für einige Tage in den Schrank, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Aber inzwischen darf sie mir wieder unter die Augen treten liegen.

 

Angefangen habe ich die Decke zu einer Zeit, in der es mir sehr schlecht ging und sie hat mich aus diesem Tal heraus begleitet.

Im ersten Jahr strickte ich wie besessen daran. Ich war nicht in der Lage, mich schwierigen Aufgaben zu stellen, aber das immer gleiche Muster beruhigte mich. Ich hatte viele kleine Erfolgserlebnisse. Meine Hände waren beschäftigt und die Sechsecke gerade anspruchsvoll genug, dass ich sie bewältigen konnte.

Oft sagten mir Leute, dass es sie wahnsinnig machen würde, diese Menge an Sechsecken zu produzieren. Dabei war es bei mir gerade andersherum. An manchen Tagen hatte ich das Gefühl, dass mich nur das meditative Monotoniestricken diesseits der Wahnsinnsgrenze hielt.

 

Als es mir langsam wieder besser ging, habe ich mir neue Herausforderungen gesucht und zunehmend gemusterte Hexagons gestrickt. In dieser Zeit dachte ich oft darüber nach, was mir gut tut. An welche Erlebnisse ich mich gerne erinnere. Wer in meinem Leben wirklich wichtig ist.

Viele Dinge und Erlebnisse, aber vor allem meine liebsten Menschen sind in dieser Decke in einem Bild verewigt. Das sind natürlich keine Portraits, sondern Symbole oder Motive, die ich mit diesen Menschen verbinde. Manche sind klar zuzuordnen. Andere Verbindungen verstehe nur ich. Außer mir wird kein Mensch alle Verbindungen sehen. Das ist aber auch gar nicht mein Ziel. Ich weiß, wer und was alles darin steckt.

 

Jedes einzelne Motiv-Sechseck sticht aus der Menge nicht besonders heraus. Erst wenn man den Blick über die Decke schweifen lässt, kann man immer mehr Bilder entdecken.

Nach und nach tauchen aus dem Gewirr die besonderen Stücke auf. In einem Gespräch über mein Deckenkonzept fiel irgendwann mal die Bezeichnung "Easter Egg". Wie auf manchen DVDs sind auch in dieser Decke Besonderheiten versteckt, die sich entdecken lassen. Und wie im richtigen Leben braucht es einige Zeit, bis man das Besondere gefunden hat.

 

Für mich repräsentiert diese Decke einen langen Weg, den ich zum Teil hinter mir habe und auf dem ich mich immer weiter vorwärts bewege. Vielleicht sind auch deswegen viele Fahrzeuge (mein erstes Auto, mein Fahrrad, Emma die Lokomotive etc.) darin verarbeitet. Das fiel mir erst relativ spät auf. Es ist aber sehr aussagekräftig. Ich bin auf dem Weg. Auf einem guten, wie ich finde. 

Beim ersten Probe-Einkuscheln in die Decke habe ich festgestellt, dass sie mich wunderbar wärmt. Genau wie alles, was mir gut tut und alle Menschen, die mir nahe stehen.

 

 

Natürlich teile ich dieses Projekt im Internet.

 

Während des Strickens konnte ich mir dort Inspirationen bei Leuten, die ähnliche Decken produziert hatten, holen. Darum wollte ich nützliche Informationen auf meiner Projektseite festhalten. Die Dokumentation meiner gemusterten Sechsecke ist in den zwei Jahren Strickzeit auf ein erschreckendes Maß angewachsen. Aber sie ist eine Quelle an Inspiration für andere.

 

Wenn ich die positiven Kommentare von anderen Nutzern lese, freue ich mich wie Bolle, weil ich weiß, dass Strickerinnen die Arbeit, die ich investiert habe, anders zu schätzen wissen als Nichtstricker. Das meine ich nicht wertend. Es ist für mich nur eine andere Art der Wertschätzung.

 

Teilweise kamen dort sehr ausführliche Lobeshymnen, die ich oft mit hochroten Ohren gelesen habe.

Am lautesten gelacht habe ich aber über die knappe Zusammenfassung der Gedanken einer Nutzerin:  "Holy crap"


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Kommentare: 2
  • #1

    Tacaheca (Samstag, 03 März 2018 20:06)

    Die Decke ist echt der Hammer! Wunderschön!

  • #2

    JessieJula (Sonntag, 04 März 2018 19:12)

    Holy crap! Ist aber auch der richtige Kommentar für diese Decke... Decke ist eigentlich keine würdige Bezeichnung für dieses Kunstwerk.
    Und wenn ich jetzt noch Deine Worte, deine Beweggründe lese - die Decke wird immer wertvoller.

    Meine Lieblinsmotive (sicherlich gabe ich ja nicht alle gesehen) sind das Krümelmonster und der wunderschöne Leuchtturm!